Archiv für den Monat Juni 2013

Brasilien empört sich

Es waren Nächte des Protests in Brasilien. Während der Abendspiele am Donnerstag gingen wieder hunderttausende Menschen auf die Straßen des Landes. Und allein dieser Schritt ist schon bemerkenswert.

In Europa oder in Deutschland kennt man Proteste, ja Krawalle. Man erinnere sich nur an die Nächte um den 1. Mai oder die Proteste in Pariser Vororten. In Europa gehen die Menschen auf die Straße, wenn ihnen etwas nicht passt. In Brasilien ist dies nicht der Fall.

„Wir sind das Volk“ riefen die Bürger der damaligen DDR im Jahr 1989. Die Friedliche Revolution beendete eine Zeit, die noch umstritten, als Diktatur bezeichnet wird. Eine „echte“ Diktatur herrschte in Brasilien der 1960er und 1970er Jahre. Das Militär herrschte über den Südamerikariesen, ging hart mit politisch anders denkenden Menschen um und übte die gleiche Art von Macht aus, wie es jede Diktatur der Welt tat und tut.

Sie arbeitete eng mit den USA zusammen und schuf ebenfalls ein künstliches (von oben verordnetes) Zweiparteiensystem. Die Wirtschaft boomte in dieser Zeit, doch das Parlament wurde beschnitten bzw. 1968 aufgelöst. Die wirtschaftliche Blüte ließ den einen oder anderen Bürger vielleicht über die Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte und der freien Presse, die politische Repression, die Folter und die Massenmorde an Indios im Amazonasgebiet hinwegsehen.

Wie auch in Europa herrschten in Brasilien 1968 Studentenunruhen, daher nehme ich dies aus der Aufzählung heraus. Und das war es auch schon. Es gab in Brasilien auch zu Zeiten der Diktatur keine großangelegten Proteste, die die Machthaber in Bedrängnis brachten. Es gab keine Friedliche Revolution oder Arabischen Frühling.

Die Protestkultur, in Deutschland ehemals stark vertreten, ist wenig bis gar nicht in Brasilien vorhanden. Dieser Fakt lässt die Demonstrationen in ein noch viel größeres Licht rücken. Während in Deutschland gegen die Agenda 2010 in Montagsdemos oder gegen Aufmärsche rechtsradikaler Gruppierungen mobilisiert wurde und wird, gehen brasilianische junge Menschen nicht auf die Straße.

Ein Ende einer Diktatur oder das Verändern eines Systems allein durch die Mobilisierung der Massen herbeizuführen ist noch nie dagewesen in Brasilien. In Leipzig und anderen Städten der DDR marschierten Menschen gegen die Repressionen der SED auf. Sie erreichten damals mehr als erwartet, durften die Mauer einreißen und in Freiheit leben. Die Folgen dessen sind hier nicht relevant.

In Brasilien endete die Militärdiktatur schon langsam mit der „Wahl“ des Generals João Baptista de Oliveira Figueiredo im Jahr 1979. Er schraubte die Repressalien deutlich zurück und gab schließlich in Zeiten der wirtschaftlichen Krise aus Mangel an eigenen Optionen aus dem Militärkader auf und erlaubte freie, demokratische Wahlen.

Man möge dies sich ruhig noch einmal zu Gemüte führen: General João Baptista de Oliveira Figueiredo gab aus Mangel an Optionen aus dem Militärkader die Diktatur auf! Nicht, weil die Menschen demonstrierten, was sie ja nun wirklich hätten machen können angesichts der miserablen Lage des Landes damals. Nein, es gab auf gut Deutsch einfach keinen anderen Militär, der die Macht hätte halten können.

Die Diktatur endete, wenn auch der progressive Teil der brasilianischen Kirche etwas Widerstand leistete, freiwillig. Keine Revolution, kein Frühling.

Polizei im Einsatz (Symbolfoto)

Polizei im Einsatz (Symbolfoto)

In diesen Tagen nutzen die Brasilianer die Aufmerksamkeit der Welt, um gegen die Staatsausgaben zu demonstrieren. Verständlich, haben doch die Proteste gegen den Neubau/Umbau des Maracanã oder die „Säuberungen“ der Favelas kaum medialen Anklang in deutschen Medien gefunden.

Die Proteste gab es schon vor einigen Monaten, gewiss kleiner, aber sie waren da. Die Fahrpreiserhöhungen dienten nur als endgültigen Vorwand, auch jetzt auf die Straßen zu gehen.

Die Gründe liegen mit den Ausgaben des Staates noch viel tiefer. In Brasilien bildet sich langsam aber stetig eine Gesellschaft heraus, die tief gespalten zwischen arm und reich ist. Die Regierung Lula hat Großes geleistet, ihre sozialen Programme Bolsa Família und Fome Zero waren ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Dennoch hat der Gewerkschafter Lula eines nicht bekämpft. Die Korruption in Brasilien ist so groß, wie noch nie. Die „Reichen“ beuten das Land aus, die WM und Olympia werden als Prestige-Objekte verschrien.

Der Fußball-Weltverband FIFA versucht sich in den Erklärungen, die Turniere auch in Länder zu vergeben, die die wirtschaftliche Kraft einer Weltmeisterschaft brauchen. Wohin das führen kann beweisen nicht nur die Stadionruinen in Südafrika. Auch wenn mit einer gewissen Planung dies umgangen hätte werden können, so stört es die Menschen, dass die Regierung Milliarden in den Fußball-Topf steckt, unter anderem aber die Bildung der Brasilianer vernachlässigt.

Auf Plakaten war unter anderen auch zu lesen: „Ein Lehrer ist mehr wert als ein Neymar!“ Wenn sie auch ihren neuen Pelé lieben, so sind sich die Brasilianer bewusst, dass Fußball nicht alles ist. Das Bildungssystem liegt zwar nicht brach, ist aber vorsichtig gesagt ausbaufähig. Die Schulen sind oftmals in einem schlechten Zustand, die Lehrer schlecht ausgebildet. Gute Bildung ist auch in Brasilien ein teures Gut.

Das Sozialsystem in Brasilien funktioniert nicht. Zu viele Menschen hungern Tag für Tag, Medikamente und medizinisches Equipment fehlen, die Ausbildung der Ärzte muss verbessert werden.

Es liegt am Staat eine ausreichende Bildung, ein funktionierendes Gesundheitssystem und Arbeitsplätze für seine Bevölkerung zu garantieren. Es sind auch Wähler, wenn man so denken würde, dann gäbe es wohl schon mehr Lehrer, die eine hervorragende Ausbildung genossen hätten oder das eine oder andere besser ausgestattete Krankenhaus.

Brasilien ist auf dem Weg eine Weltmacht zu werden. Die letzten Hürden sind die sozialen Probleme des Landes. Es wird keinen Arabischen Frühling geben, in Brasilien herrscht eine feste Demokratie, die nicht umgestoßen werden wird. Aber die Regierung Rousseff muss auf die Stimmen des Volkes hören und auch ernst nehmen!

Der Abbruch des Confed Cup bzw. der Verlust der WM wäre der Super-Gau. Auch wenn das Land die Weltmeisterschaft nicht gebraucht hätte, so wäre deren Verlust nun falsch. Das muss auch den Demonstranten klar sein. Protest ist wichtig, der Blick nach Brasilien zeigte die faszinierende finale Entwicklung einer noch relativ jungen Demokratie. Die Protestkultur, über Jahre schon fest in europäischen Gefilden verankert, wächst nun auch in dem südamerikanischen Land heran. Eine Demonstrantin sagte am Rande: „Ich bin 26 Jahre als und musste 26 Jahre auf diese Möglichkeit warten, auf die Straße zu gehen.“

Die Proteste können und sollen die Augen öffnen, müssen aber friedlich bleiben. Demonstrieren heißt nicht Gewalt ausüben, Widerstand leisten heißt nicht Steine werfen. Die Leute auf Brasiliens Straßen werden das Turnier nicht verhindern können, aber was viel wichtiger ist, sie können ihr Land verändern!

„Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.“ – dieses Zitat von Stèphane Hessel sagt genau das, was in Brasilien passiert und passieren soll: Brasilien empört sich. Brasilien soll sich verändern.

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GoalControl beim Confed Cup: Goodbye Wembley!

Es ist DAS umstrittenste Tor der Fußballgeschichte. Am 30. Juli 1966 trifft (oder trifft eben nicht) Geoff Hurst zum 3:2-Zwischenstand der englischen Fußballnationalmannschaft gegen das deutsche Team. Bis heute konnte nicht endgültig geklärt werden, ob der Ball damals hinter die Linie sprang oder nicht. Der Treffer wurde gezählt und ging als Wembley-Tor in die Annalen der Fußballgeschichtsbücher ein.

Ein weiteres Kapitel wird nun wohl nicht hinzukommen, denn ironischerweise ausgerechnet eine deutsche Firma wird dafür sorgen. Dirk Broichhausen und seine Kollegen werden im Auftrag der FIFA ihre Torlinientechnik GoalControl bei dem am Wochenende beginnenden Confederations Cup in Brasilien testen. Ein Linienrichter, wie 1966 aus Aserbaidschan, wird dann durch einen Computer ersetzt.

Broichhausen mag es zwar nicht recht zugeben, aber „irgendwie hoffen wir doch auf eine Bewährungsprobe für unser System“. Es wäre doch „grandios“, meint er in einem Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst, wenn es eine strittige Szene klären könnte. „Wir sind überzeugt, dass wir unseren Job erledigen, und sehen realistische Chancen, auch die WM ausstatten zu dürfen“, sagt Broichhausen, sein Kollege Jürgen Philipps ergänzt: „Wir haben alle Tests bestanden und sind zu 100 Prozent einsatzbereit.“

Kaum Umbauten in den Stadien notwendig

Dabei war es eine Überraschung, dass GoalControl Anfang April den Zuschlag bekam. Mitbewerber war neben den Systemen Cairos und Goalref, die mit Sensor oder Chip im Ball arbeiten, das im Tennis bewährte Hawk-Eye, das von einem FIFA-Sponsor (Sony) entwickelt wurde. Der Weltverband teilt mit, dass „insbesondere die Fähigkeit, sich den lokalen Gegebenheiten bei den beiden Turnieren in Brasilien anzupassen“, den Ausschlag gegeben habe.

Broichhausen konkretisiert, die „herausragende Flexibilität und Genauigkeit“ von GoalControl sei entscheidend gewesen. Das System könne mit jedem Ball arbeiten und was wohl für die Vereine und Verbände wichtig ist: Es sind weniger teure Umbauten nötig. Nötig sind 14 Hochgeschwindigkeitskameras, die etwa unter dem Stadiondach angebracht werden und das gesamte Spiel über die Position des Balls in drei Dimensionen erfassen. Überquert der Ball die Torlinie komplett, empfängt die Uhr des Schiedsrichters innerhalb von einer Sekunde das Signal „Goal“. Die Umbauosten pro Stadion belaufen sich auf rund 200.000 Euro.

Torlinientechnologie

Restzweifel bleiben

Komplett 100 Prozent Sicherheit kann und soll laut FIFA die Technik nicht liefern. Der Weltverband ließ eine Messtoleranz von knapp drei Zentimetern zu. Restzweifel bleiben also bestehen, auch wenn Broichhausen sie ausschließt: „Wir schaffen fünf Millimeter“, sagt er stolz.

GoalControl kann die Position des Balls sogar errechnen, wenn der von Spielern verdeckt wird. Die FIFA ist von der Technologie überzeugt, die Deutsche Fußball Liga (noch) nicht. „Nicht vor dem 1. Juli 2015“ will die DFL Torlinientechnik einführen, wie der Ligaverband vor einigen Monaten mitteilte.

In einer Umfrage des Fachmagazins kicker sprachen sich in der Woche vor dem Konföderationenpokal knapp 80 Prozent der teilnehmenden Spieler für die Torlinientechnik aus. Unter dem Dach der UEFA wird es ebenfalls in absehbarer Zeit keine Technisierung geben. Die Europäische Fußball-Union setzt in Champions und Europa League weiter auf Torlinien-Assistenten. Die Premier League in England und die Ehrendivision in den Niederlanden sind da etwas weiter: Sie nutzen ab der kommenden Saison die aus dem Tennis bereits bewährte Technik Hawk-Eye.

No more Bloemfontein!

Gerade auf der Insel sind die Erinnerungen an Tor oder Nicht-Tor schmerzlich. Spricht man in England beim Wembley-Tor lediglich vom „dritten Tor“ oder „Geistertor“, sieht es ganz anders bei dem Lampard-Nicht-Treffer aus dem WM-Achtelfinale 2010 aus. Das Motto lautet: No more Bloemfontein! Der Mittelfeldspieler hämmerte die Kugel auf das deutsche Tor, Manuel Neuer spielte weiter und die Pfeife des Schiedsrichters blieb stumm. Auf Fernsehbilder konnte man in Nachhinein eindeutig sehen, dass sich der Ball weit hinter der Torlinie befand. Da war auch FIFA-Präsident Joseph S. Blatter klar: „Torlinientechnik ist eine Notwendigkeit.“

Der Weltverband bekräftigte aber auch: Die endgültige Entscheidung obliegt immer dem Unparteiischen! Die von Sepp Herberger geprägten Fußballweisheiten bleiben also bestehen: „Der Ball ist rund“, „das Spiel dauert 90 Minuten“, „Tor ist wenn der Schiri pfeift.“

Leipzig, Salzburg und nun Pasching – Red Bull und die Wettbewerbsintegrität

Das Wunder von Österreich ist perfekt. Als unterklassiges Team hat der FC Pasching den ÖFB-Cup geholt. Ein 1:0 gegen den neuen Meister Austria Wien. Auf den ersten Blick ein Wunder, ja eine Sensation!

So wird es auch in den meisten Medien verkauft – eben als Sensation, als Wunder, als etwas ganz großes! Ohne Frage, es ist etwas ganz Besonderes, aber nicht weil ein Drittligist gegen den aktuellen Meister Österreichs im Pokalfinale gewonnen hat. Sondern warum keiner die tatsächliche Situation sieht oder sehen will?!

Das fragt man sich unweigerlich, ob die etablierten Medien es nicht wissen oder wahrhaben wollen. Pasching ist das Farm-Team von Red Bull Salzburg, Team Red Bull 3! Die Sensation nicht ganz so groß, denn sie haben die eine oder andere Mark mehr auf dem Konto, als die Konkurrenten. Sie sind gespickt mit ehemaligen Bundesliga-Spielern und drängen in die Bundesliga. Red Bull ist offiziell „nur“ Sponsor, der Vertrag läuft 2014 aus, aber auch knapp 80 Prozent des Etats sind Dosen-Dollar.

Zweimal Red Bull in Europa?

Durch den Einzug ins Finale und letztlich dem Sieg haben sie die Qualifikation zur Europa League erreicht. Problematisch könnte es nun werden, wenn man sich die UEFA-Regularien anschaut. Dort gibt es ein eigenes Kapitel zum Thema „Integrität des Wettbewerbs“. Dieser Artikel 3 legt fest, dass „niemand gleichzeitig entweder direkt oder indirekt in irgendeiner Eigenschaft in der Verwaltung, Administration oder dem sportlichen Auftritt eines anderen Vereins in einem UEFA-Klubwettbewerb beteiligt sein darf“.

Direkt beteiligt ist Red Bull in Salzburg, keine Frage, die zu stellen wäre mehr als naiv. Sie treten in der kommenden Saison in der Qualifikation zur Champions League an. Indirekt sind sie es noch bei West-Drittligist Liefering, der auch offiziell vom Österreichischen Fußballverband als zweites Red-Bull-Team gewertet wird („Es ist erwiesen, dass der Verein unter Kontrolle von Red Bull steht“) und somit nicht am ÖFB-Cup teilnehmen darf etc. Nun stellt sich die Frage, wie weit es bei Pasching der Fall ist.

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Verdacht, Verdacht, Verdacht

Ein kleiner Verdacht: Die Pasching-Präsidenten Martin Hengstschläger und Rene Lindner residieren mit ihrer Rechtsanwaltskanzlei an jener Linzer Adresse, an der laut oberösterreichischer Rechtsanwaltskammer im Mai 2011 Red-Bull-Vorstand Volker Viechtbauer als Rechtsanwalt eingetragen war. Das Trainerteam Gerald Baumgartner und Martin Hiden kam von den Red-Bull-Juniors, also dem zweiten Team von Salzburg. Einige Spieler sind von den Juniors ausgeliehen. Etwas unauffälliger ist, dass Geschäftsführer Norbert Schnell beim USK Anif tätig war. Verdächtig ist es, weil er seit Sommer 2012 unter dem Namen FC Liefering in der Westliga antritt.

Alles etwas kurios, aber offiziell nicht anrüchig, denn geprüft hat der Verband die Integrität des Vereins bereits und kam zum folgenden Ergebnis: „Im Zuge des Verfahrens konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Red Bull GmbH beherrschenden Einfluss auf den FC Pasching ausübt. Daher war das Verfahren aus Mangel an Beweisen einzustellen.“ Pasching-Präsident Hengstschläger ergänzte im Neuen Volksblatt: „Wir wurden bereits vom ÖFB zweimal geprüft und haben auch vor einer UEFA-Prüfung keine Angst.“

Sollte die UEFA zu einem anderen Urteil kommen, als der ÖFB, dann würde nur jener Klub zugelassen werden, „der sich für den ranghöheren Wettbewerb (Champions League) qualifiziert“ hat, wie es in den Regularien heißt.

Nicht das erste Mal

In der Vergangenheit geriet Roman Abramowitsch als Mäzen von Chelsea und ZSKA Moskau in ein schiefes Licht. Damals wurden beide Vereine zugelassen. 1998 war die Investorengruppe ENIC Haupteigentümer von AEK Athen und Slavia Prag. Beide Klubs waren für den UEFA-Pokal qualifiziert. Der europäische Verband verbot damals die Teilnahme der Griechen. Diese Entscheidung wurde von der Europäischen Kommission bestätigt, doch ENIC erwirkte in der Schweiz eine einstweilige Verfügung, deren Folge die Teilnahme beider Klubs war.

Das Thema Integrität ist eben doch nicht so eindeutig, wie es sein sollte.

von Fabian Biastoch